#70 – Wenn der Bauch den Kopf steuert
Shownotes
Wie Darmprobleme das Verhalten steuern – SIBO, BAM & Epigenetik
In dieser Folge gehen wir noch einen Schritt tiefer: Nachdem wir in der letzten Episode die Verdauungsstörungen SIBO (Small Intestinal Bacterial Overgrowth) und BAM (Bile Acid Malabsorption) erklärt haben, schauen wir jetzt auf die stille Kaskade, die daraus entstehen kann – und wie sie das Verhalten unserer Hunde nachhaltig beeinflusst.
Was viele nicht wissen: Chronische Darmprobleme führen nicht nur zu Durchfall oder Blähungen. Über die Darm-Hirn-Achse gelangen Entzündungsstoffe ins Gehirn, verändern dort die Reizverarbeitung und programmieren den Hund buchstäblich um. Angst, Unsicherheit, Aggressionsverhalten oder Antriebslosigkeit sind häufig die sichtbaren Folgen.
Wir sprechen über die Rolle der Amygdala, die Überlastung der Impulskontrolle und die langfristigen epigenetischen Veränderungen, die aus dem Bauch im Kopf entstehen. Und wir zeigen, wie gezielte Ernährung, Mikrobiomstabilisierung und Stressmanagement helfen können, diese Spirale zu unterbrechen.
Ein tiefgehender Blick auf die Biochemie hinter dem Verhalten – für alle, die verstehen wollen, warum Erziehung manchmal nicht ausreicht.
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Herzlich willkommen zu den NAPF-Gesprächen mit Joe und der Sabine.Heute sprechen wir über etwas, das mich sehr viel beschäftigt, immer und immer wieder, oder uns, Sabine und mich, in unseren Beratungen.Nämlich das Verhalten von Hunden, für das sie eigentlich nichts können.Was aber verändert werden kann, wenn man sich mit den Hintergründen des Fehlverhaltens beschäftigt.Ja, auch gerade bei mir in der Tierpsychologie, an dem Fehlverhalten, an den Korrekturen, die manchmal gewünscht sind,kam für mich immer wieder diese Frage auf, was genau steckt da eigentlich hinter?Es kann doch nicht sein, dass die Tiere sich so fehlverhalten, da muss doch noch irgendwas anderes hinter sein.Du bekommst einen Hund vom Züchter, oder holst einen Hund aus dem Auslandstierschutz,oder einen Welpen aus dem Tierheim, oder einen Hund aus schlechter Haltung, den du retten möchtest.Er ist endlich in Sicherheit, aber nach Wochen oder Monaten merkst du Unsicherheit, Ängste, Reizbarkeit,plötzliche Aggressionen.Und du fragst dich, am Anfang war er doch so lieb, was ist denn nun passiert?Ich glaube nämlich nicht an Dressur, wenn dahinter nämlich die Biochemie dagegen arbeitet.Verhalten ist keine Frage des Gehorsams, sondern der Versorgung.Und wer das Futter versteht, versteht in meinen Augen auch den Hund.Das ist ein unglaublich schöner Satz, Joe.Absolut.Und ich glaube, gerade nach der letzten Folge haben viele von euch auch gemerkt,Siebe und Bamm, das klingt erstmal nach unglaublich komplizierter Diagnostik.Aber im Alltag erleben wir es ganz anders.Blähbauch, Durchfall, Reizbarkeit, ganz nervöse und vor allen Dingen auch unsichere Hunde.Und jetzt wird es spannend.Es bleibt eben nicht nur im Bauch, sondern formt auch das Verhalten.Napfgespräche, der Petcast.Und genau hier wird es jetzt spannend.Denn wir sprechen heute nicht......einfach über Magen-Darm-Probleme.Wir sprechen darüber, wie Prozesse im Bauch ganz direkt den Kopf steuern können.Wie aus einem Blähbauch plötzlich ein Angsthund wird.Wie winzige biochemische Veränderungen in der Verdauung das ganze Verhalten umprogrammieren können.Und warum Erziehung dann oft gar keine Chance mehr hat, solange diese Prozesse weiterlaufen.SIBO, also bakterielle Überwuchung des Dünndarms, und BAM, die gestörte Gallensäurerückführung,bringen das Mikrobiom aus dem......Gleichgewicht.Aber das ist ja erst der Anfang der ganzen Kaskade.Denn dann passiert folgendes.Bakterien produzieren Stoffe, die eigentlich nur in Maßen gut sind.Bytorat, Propinsäure, Lipopolysaccharide.Und diese Stoffe gelangen durch den durchlässigen Darm, also die Kegatt, ins Blut und ins Hirn.Ja, genau da kommt nämlich die Darm-Hirn-Achse ins Spiel.Und jetzt beginnt die stille Kaskade.Darm brennen.Entzündung.Neuroinflammation.Und damit einhergehend die Verhaltensänderung.Denn das Immunsystem feuert jetzt Zytokine ins Nervensystem.Zytokine sind winzige Botenstoffe des Immunsystems.Die steuern Entzündungsprozesse, kommunizieren zwischen Immunzellen.Und wenn sie dauerhaft erhöht sind, feuern sie wie kleine Brandherde auch ins Nervensystem.Und so entsteht Neuroinflammation, also eine stille Entzündung im Gehirn,die dann das Verhalten tiefgreifend beeinflussen kann.Die Mikrogliazellen, unsere Gehirnputzer, reagieren über.Und plötzlich steht das Angstzentrum, die Amygdala, unter Dauerstrom.Der präfrontale Kortex, also das Hirnareal für Impulskontrolle, wird gehemmt.Und genau hier zeigt sich plötzlich das Verhalten.Ängstlich, aggressiv, unruhig, unsicher.Ich sag's mal ganz praktisch, Joe.Der Hund wird ängstlich, schreckhaft, schnell reizbar.Er zeigt plötzlich aggressiver Ausdruck.Herzbrüche, die vorher nie da waren.Oder er zieht sich zurück.Wird lethargisch, apathisch.Ja, und dann kommt meist so ein Satz, den man immer wieder hört.Der war früher nie so.Was stimmt denn mit dem Hund nicht mehr?Ja, und dann mit einem mal so, ich glaube, da müssen wir ganz einfach mal einen Trainer holen.Oder wir müssen mal wieder in die Hundeschule.Der muss mal wieder Unterordnung lernen.Das geht so nicht.Und genau hier kommen wir zum Thema, das viele noch überhaupt nicht auf dem Schirm haben,nämlich Epigenetik.Was für ein Thema.Ein Ding.Epigenetik.Epi.Epi.Epi.Epigenetik.Epigenetik.Genau, das sind Baupläne.Aber ob und wie diese Baupläne der Gene gelesen werden, entscheidet nämlich die Epigenetik.Also Baupläne der Genetik.Stell dir ganz einfach mal ein Erbgut, die DNA,wie in einem großen Aktenschrank vor.In diesem Schrank gibt es unzählige Schubladen, wie diese Apothekenschränke.Kennst du ja auch, ne?Klar.Jede einzelne steht für ein Gen.Die DNA selbst, die Schubladen und ihre Inhalte bleiben grundsätzlich gleich.Und die Epigenetik entscheidet aber, welche Schublade geöffnet und welche verschlossen sind.Also welches Gen kommt in den Bus und welches Gen muss draußen bleiben.Manche Schubladen sind geöffnet, also aktiv.Das Gen wird abgelesen und umgesetzt.Und dann gibt es die verschlossenen, die inaktiven.Das Gen bleibt stumm.Was beeinflusst dann aber das Öffnen und das Schließen dieser Schubladen?Zum einen die Ernährung, Stress, Umweltgifte, Bewegung, Sozialverhalten, das Mikrobiomund zum anderen Erfahrung, zum Beispiel Bindung, frühe Prägung.Also tatsächlich das.Das, was man von den Eltern mitbekommt, also vom Papa und Mama Hund.Und das Besondere daran ist, diese epigenetischen Schlösser auf den Schubladenkönnen sich im Laufe des Lebens verändern und manchmal sogar an die nächste Generation weitergegeben werden.Ja, und diese Schließer hören sehr genau auf die Umwelt.Stress, Ernährung, Entzündung, soziale Erfahrung.Sie alle beeinflussen, welche Gene spielen dürfen.Und bei Hunden heißt das?Dauerhafte Darmprobleme, wie bei SIBO und BAM, können epigenetische Marker setzen.Das sind diese Schließer, die dann praktisch eine Schublade zumachen.Das heißt, die Stressachsen werden anders justiert.Die Amygdala, also das Angstzentrum im Gehirn, reagiert über.Der präfrontale Kortex, unser Impulsregulator, wird gehemmt.Und plötzlich erklärt sich, warum der Hund nicht einfach nur...mehr Erziehung braucht, sondern zuerst einmal biologische Hilfe.Das heißt wirklich biochemische Hilfe durch Ernährung, durch Nährstoffe,die ihm gerade durch bestimmte Faktoren fehlen, da wo das Mikrobiom gerade im Ungleichgewicht ist.Ja, und noch heftiger wird es, wenn wir in die Generationen schauen.Diese epigenetischen Veränderungen können natürlich auch vererbt werden.Richtig, nämlich transgenerationale Epigenetik.Ein gestresstes Muttertier.Wir erinnern uns an die letzten Sendungen, wo ich gesagt habe,wenn bei einem Muttertier zum Beispiel der IGA, das heißt der Schleimhautbildner,nicht mit in der Biestmilch ausreichend vorhanden ist,geht das auch dementsprechend nicht mit über zum Welpen.Und der baut dann von vornherein nicht seinen Schleimhautbildner auf.Das heißt, die Schleimhaut, der fehlt was.Und über das gestresste Muttertier.Und das erklärt auch, warum bestimmte Zuchtlinien immer wieder mit Verhaltensproblemen auffallen,obwohl genetisch alles in Anführungszeichen in Ordnung scheint.Genau, diese ganzen Zuchtmerkmale, Rassedispositionen oder sowas, die man dort hört,das ist diese Genexpression, das ist geformt durch die Epigenetik.Und da können wir sagen, die ersten 130 Erlebnisse,die wir haben, sind Tage beim Hund, sind so ein epigenetisches Fenster.Hier wird die Weiche gestellt für Resilienz, für Sozialkompetenz und für Stressverarbeitung.Also, ich sag's nochmal, gute Ernährung, stabile Bindung,Ruhepausen, sichere Umwelt, gesunde Muttertiere und sorgfältig ausgesuchte Deckrüden.Ja, so wie man deinen Deckrüden im Hintergrund hört.Immer wieder muss er mitreden.Er hört nämlich gerade das Übergang.Genau, wobei das Thema wahrscheinlich Futter ist in diesem Moment.Was auch wiederum genetisch geprägt ist.Ja, absolut.Auf jeden Fall diese Faktoren, über die wir gerade gesprochen haben,bestimmen mit, wie der Schließer im Hund später das Verhalten steuert.Oder wir nennen ihn Dirigenten, ist egal wie.Aber auf jeden Fall der, der dafür zuständig ist,die Schubladen auf- und zuzuhalten.Ja, klar.Und hier schließt sich der Kreis dann eben auch zurück zu Sibo und Bam.Wir können die Kaskade beeinflussen.Ja, genau.Mit gezielter Ernährung zum Beispiel.Mit hochverdaulicher Ernährung.Mit einem hohen Anteil an resistenter Stärke,die dann tatsächlich auch im Dickdarm verarbeitet wird und nicht im Dünndarm.Da, wo wir die entsprechenden Bakterien nicht zur Verfügung haben,die das umsetzen können.Wir brauchen präbiotische Ballaststoffe.Also alles das, was wir in den vorherigen Sendungen schon erzählt haben.Wer es hier an dieser Stelle heute zum ersten Mal hört,bitte in die vorherigen Sendungen reinhören,weil da erklären wir das ganz genau.Die Butyratförderung, auch Omega-3-Fettsäuren,Fettsäurenmuster sind extrem wichtig.Wir haben eine hohe Anzahl von Fettsäuren,die entzündungshemmend und entzündungsmodulierend praktisch wirken.Wir haben Mikronährstofftherapien,durch B12, durch Zink und durch Cholin.Und vor allen Dingen auch Stressreduktion im Alltag.Da, wo der Hund das Gefühl hat, das wird mir hier zu viel,dann ist das etwas, was der nicht mehr regulieren kann.In dem Moment sind seine Möglichkeiten mit Adrenalin und No-Adrenalin,mit Serotonin und mit Dopamin,also alles das, was sein Aufregen,seinen Adrenalinspiegel nach oben bringtund aber auch wieder sehr, sehr schnell senkt,ist.Er ist nicht in der Lage, ordentlich umzusetzen.Das Gehirn spielt da nicht richtig mit.Ich glaube, dass das ein ganz, ganz wichtiger Faktor ist.Und wir dürfen vor allen Dingen nicht zu spät eingreifen.Denn je länger diese Kaskade läuft,desto fester brennen sich eben auch die epigenetischen Muster ein.Ja, genau das ist das.Das ist genau dieser Punkt, wo man dann merkt,oh Mann, wie kriegen wir das eigentlich gelöst?Ist das überhaupt lösbar, dieses Problem?Nein.Und dass wir einen Hund wieder auf die Spur bekommen.Geht das überhaupt?Und das Spannende dabei ist,wir sind hier erst am Anfang der Forschung.Die Forschung zeigt nämlich,dass Rassezucht viel weniger genetisch fixiert ist als gedacht.Die meisten Verhaltensunterschiede entstehen durch Prägungund nicht durch DNA.Oder anders gesagt, Gene sind ein Angebot.Die Umwelt entscheidet, was draus wird.Genau.Und in der nächsten Folge gehen wir noch einen Schritt weiter.Wie industrielle Fütterung, Hochverarbeitung und falsche Diätetikdiese toxischen Kaskaden überhaupt erst lostretenund warum so viele medizinische Diätfutterlangfristig das Problem verfestigen.Superspannend, aber auch ein bisschen unbequem, nicht?Aber genau deshalb machen wir ja die Napfgespräche.Genau, und genau so muss es auch sein.Heute wollten wir erstmal so ein bisschen auf die Epigenetik eingehenund zeigen, dass Verhaltensmuster,Verhaltensveränderung beim Hunddurchaus durch Gene gesteuert werden kann.In der nächsten Sendung gehen wir da noch ein bisschen tiefer reinund werden das noch mehr aufschlüsselnund werden darüber erzählen, wie das Ganze zusammenhängtund wie das funktioniertund wo wir bei ganz bestimmten Rassen drauf achten müssen.Bis dahin wünsche ich euch beim vorherigen Hören der Sendungund für alle, die die Sendung heute zum ersten Mal hören,sehr viel Vergnügen, um etwas über SIBO,um SIBO und BAM zu erfahren.Bis dahin.Tschüss.Tschüss.Napfgespräche, der Petcast.Tschüss.
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